Das kleine Frieden  (Autor unbekannt)

Da saß es still und leise. In einer kleinen Ecke. Eigentlich war es hier dunkel doch es selbst verbreitete Licht. Es hat sich hier her verkrochen, weil es einen Schutzraum suchte. Zu viele wollten ihm an den Kragen. Nun saß es hier in der Ecke. Abgehetzt. Unruhig. Gejagt. Das kleine Frieden.

 

Gejagt von den Großen und Lauten. Mal wieder grölten sie und stritten miteinander. Die aggressive Wut mit der hinterhältigen Lüge. Die unbändige Habgier mit dem lieblosen Neid. Das schuldige Nachtragen mit dem trotzigen Stolz. Immer wieder ging es um dieselben Themen: Wer ist größer? Wer hat den meisten Einfluss? Wer kann am besten für das Wohl des einzelnen Menschen sorgen? All dies wurde für das kleine Frieden zu viel.

 

Es verschwand und versteckte sich. Es fühlte sich von ihnen gejagt. Irgendwo auf der Flucht sah es die Zuversicht davonhoppeln. Es kam an der Hoffnung vorbei. Sie lag reglos am Boden.

 

Hier in der dunklen Ecke fühlte sich das Frieden sicher. Hier wollte es bleiben. Bloß nicht mehr zu den anderen. Hier war es weit weg von dem Geschrei. Hier hatte es Ruhe. Vor den anderen und auch vor den Menschen. Hier konnte es sein Friedenslicht in Ruhe flackern lassen, ohne dass es jemand auspusten würde. Hier konnte es in den weichen Boden ein kleines Peace-Zeichen malen. Und auch die weiße Taube entspannte sich. Warum jagte man das Frieden? Es war doch so klein … so zerbrechlich … so unbedeutend …??

 

Nein, bei diesem Gedanken musste es selbst etwas schmunzeln. Es war zwar klein und zerbrechlich. Das bestimmt. Aber unbedeutend? Das war es auf keinen Fall! Ganz im Gegenteil: Im Grunde schätzen es alle. Im Kleinen, wie im Großen. Eigentlich wollten es alle haben. Und vielleicht war genau das das Problem. Alle wollten das kleine Frieden haben. Es besitzen. Es für die eigenen Zwecke ge- und eventuell sogar missbrauchen. Und das nervte das Frieden sehr. Wenn zwei verschiedene Seiten das kleine Frieden für die persönlichen Interessen beanspruchten, fühlte es sich zerrissen. Es hielt nicht mehr. Es wurde gejagt, weggedrängt und zog sich zurück. Ein kleines Frieden auf der Flucht.

 

Manche sagten sogar, sie würden es irgendwo hinbringen. Sie sagten, „wir bringen euch Frieden.“ Dabei hatten sie das Frieden nicht im Gepäck, sondern politische, wirtschaftliche oder militärische Interessen. Das kleine Frieden hatten sie dabei vertrieben.

 

Andere hatten das Frieden vergessen. Vermutlich war es schon zu lange bei ihnen. Man sprach von 78 Jahren gemeinsam mit dem Frieden. Doch über die Jahre wurde es als selbstverständlich wahrgenommen und nicht mehr mit Leben gefüllt. Es fühlte sich bei ihnen innen hohl. Nicht mehr als eine Hülle.

 

Dabei wollte es doch einfach groß sein. Sich mit der Hoffnung freuen und mit der Versöhnung Feste feiern. Das war doch eigentlich das Ziel des Friedens. Bei ihnen sein. Leben. Frei sein. Es wollte nicht gejagt, erlegt oder benutzt werden. Es wollte nicht in Vergessenheit geraten oder einfach nur hingenommen werden. Es wollte wertgeschätzt werden. Liebevoll umsorgt. So saß das Frieden in der Ecke.

 

Es begann sich umzugucken und war überrascht: Da waren ja noch andere. Die Liebe und die Leidenschaft. Das Vertrauen und das Staunen. Die Vergebung und auch die Würde. Sie alle waren da. Selbst die Hoffnung kam - gestützt von dem Mut und der Kraft - langsam auf das Frieden zu. Da wollte das Frieden wieder raus aus der Ecke. Hin zu den anderen.

 

„Wir sind mehr“ sagte es sich. Mehr als die Lauten und Großen. Wir haben mehr zu sagen. Mehr zu geben.

 

„Das wird mein Jahr“, sagte sich das Frieden und ging los.


Auszug aus „Die vier archimedischen Punkte“ von Erich Kästner

 

Wenn Millionen Menschen nicht nur neben-, sondern miteinander leben wollen, kommt es auf das Verhalten der Millionen, kommt es auf jeden an, nicht auf die Instanzen.  Das klingt wie ein Gemeinplatz, und es ist einer.  Wir müssen unseren Teil Verantwortung für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt, aus der öffentlichen Hand in die eigenen Hände zurücknehmen. Wohin es führt, wenn jeder glaubt, die Verantwortung trüge der sehr geehrte, wertgeschätzte Vordermann und Vorgesetzte, das haben wir erlebt.            Soweit wir's erlebt haben...

 

Wenn Unrecht geschieht, wenn Not herrscht, wenn Dummheit waltet, wenn Hass gesät wird, wenn Muckertum sich breitmacht, wenn Hilfe verweigert wird - stets ist jeder Einzelne zur Abhilfe mit aufgerufen, nicht nur die jeweils ,,zuständige" Stelle. Jeder ist mitverantwortlich für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt. Und jeder von uns muss es spüren, wann Mitverantwortung neben ihn tritt und schweigend wartet. Wartet, dass er handle, helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je nachdem.

 

Die maskuline Schreibweise meint „Mensch“ und steht gleichwohl für Frau, Mann u. Divers